Heuchelheim, b. Frankenthal
28. IV. 1912
Mein lieber Onkel!
Diesen Brief wirst Du erhalten, wenn Du recht in der Arbeit stehst zum Sängerfest. Auch ich habe wieder ein von Arbeit reiches Schuljahr hinter mir. Prüfungen sind gut verlaufen - und übermorgen beginnt die Arbeit wieder frisch. Da kommen die Rekruten wieder. Neue Mühe, neue Plage beginnen. Ohne Arbeit geht es ja nicht im Leben und sie ist es, die den Menschen im richtigen Gleichgewicht hält. Es kann nicht jeden Tag Sonntag sein; aber doch erinnert man sich ihrer gern an den Arbeitstagen. Wie gerne schweifen meine Erinnerungen zurück in die
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Tage, an denen ich an der Seite meines lieben Onkels den schönen Süden durchwanderte und mir von den Bergen der Schweiz neuen Lebensmut, neue Kräfte und damit neue Gesundheit in die Heimat zurücknahm. O, Onkel, ich danke Dir tausendmal! Wer weiß, was heute mit mir wäre, wenn Du mich vor Jahren nicht hättest die Seereise machen lassen. Jene Tage sind entscheidend gewesen für mein Leben. Denke nicht, daß ich es nicht weiß, was Du damals für mich getan. Es wird mir immer klarer, wie eng wir zueinander gehören, Du und ich. Du stehst allein und ich. Mein Vater ist gut zu mir und tut mir, was er nur Gutes tun kann; aber hinter dem Rücken eines Jemand. Mein Vater tut mir leid. Ich habe ihn gern und muß ihm verzeihen und auch Du Onkel darfst ihn nicht anklagen. Er gedenkt [end page]
[new page] deiner gern. Eine Macht aber läßt ihn nicht handeln, wie er will. Meine Mutter möchte am liebsten alle Spuren seiner ersten Ehe verwischt haben. Um des Friedens Willen gibt meine Mutter nach. - Du schriebst meinem Vater einige Karten von der Italienreise. Nur die Anrede "Lieber Schwager" verursachte den größten Hausstreit. Mein Vater hat es mir gestanden und vieles, vieles hat er mir noch gesagt, worüber ich schweigen will. Meine Mutter befürchtet mein Schwesterchen kommt einmal zu kurz; denn mein Vatre hat sie über seine Vermögensverhältnisse noch nicht aufgeklärt und tut es auch nicht. Auch ich weiß nichts über das Vermögen "<"meiner">"[underlined] Mutter und nichts über das meines Vaters. Ich will es auch nicht wissen; denn ich vertraue meinem Vater und bin fest überzeugt, daß er in diesem Punkt ein steifes Rückgrat behält.
Mir will es manchmal dünken, als hätte meine jetzige Mutter bei ihrer Heirat nicht mit einem langen Leben meinerseits gerechnet. Die Familie Hack (Großvater ausgenommen) kann mich nicht ausstehen. Meine Mutter hat mir an Pfingsten vorhergesagt, ich würde nicht im Lehrerberuf sterben; denn dazu hätte ich einen viel zu frechen Mund. Früher hat es schon viel Schmerzen gemacht, daß ich nur soweit gekommen bin, als ich bin; denn am liebsten hätte man gesehen, wenn ich mein Ziel nicht erreicht hätte und nun wünscht man mir Untergang u. Verderben. Ich muß Dir einmal mein Herz ausschütten; denn zu wem sollte ich denn über dergleichen reden, als zu Dir. Vor allem bitte ich Dich, lieber Onkel, beurteile das Verhalten meines Vaters Dir gegenüber nicht falsch. Er ist ärmer wie arm und weinend hat er mir gestanden, was ihn drückt.
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Du schriebst mir, lieber Onkel, du wolltest mir meine Reiseauslagen zurückerstatten und ich sollte mit dem Geld eine kleine Reise machen. Ich bin Dir dankbar, wenn Du mir das Geld schickst, damit ich es meinem Vater zurückerstatten kann; denn er hat es, wie er mir später sagte, nicht meinem Bankguthaben entnommen, sondern mir aus seiner Tasche gegeben. Aus einer Reise wird also nichts; denn ich will zuerst meiner Verpflichtung nachkommen. Wenn man so etwas vom Rücken hat, trägt man leichter. Meine Ernteferien, die von Mitte Juli bis Mitte August fallen, werde ich voraussichtlich in Heuchelheim bei meiner Lisbeth verbringen. Die Herbstferien dagegen - 18. Septemb - 16. Oktober - will ich bei meinem Vater sein. Vielleicht kann ich mir für letztere ein paar Knöpfe zusammensparen, um eine kleine Wanderung durch den Pfälzer-Wald zu machen.
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In den Ferien will ich auch einmal an meinen Reiserelebnissen in Italien und Schweiz weiter arbeiten und sehen, ob ich sie in einer Tageszeitung unterbringen kann. Die Lehrerzeitung kann die Sache, des Umfangs wegen, nicht aufnehmen. Ich habe wenig Zeit gefunden, an der Sache zu schreiben; denn die Schularbeit ist schwer und für die Konferenzen und für die Anstellungsprüfung ist eine Menge Arbeit, sodaß ich die wenige Zeit brauche, um einen Spaziergang zu machen oder um bei meinem Lieschen sein zu können. Ich weiß nicht, heute beherrscht mich so eine sonderbare Stimmung und ich glaube, ich hätte besser getan, wenn ich mein Briefschreiben auf morgen verschoben hätte. Die heitere Gemütsart will gar nicht in mir hervorkommen. [end page]
[new page] Da muß ich nachher zu meiner Lisbeth gehen. Die nimmt mich bei Kopf und Ohren und wendet mich wieder herum. Sie hat mich beauftragt, in meinem nächsten Briefe an Dich, Dir recht herzliche Grüße zu schreiben, weil du immer ihrer gedenkst in Deinen Briefen. Es ist ein herzig gutes Mädel; meine zweite Mutter. Und sie hat Dich lieb, ohne Dich zu kennen, weil Du mir so viel Gutes tust. Ich habe ihr von Dir und von unserer Reise voriges Jahr, viel erzählt und sie ist glücklich, wenn ich ihr von den schönen Plätzchen erzähle, wohin wir unsere Hochzeitsreise machen wollen. Doch da hat es noch Zeit. Gestern waren wir, auch ihre Eltern, in Worms um neue Strohhüte zu kaufen - [the next two words are underlined] aber wirkliche. Wir fuhren mit dem Jagdwagen,
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der Lisbeths Mutter gehört. Es war schön in der Frühlingslandschaft. Du bist fest in der Arbeit, lieber Onkel, ich wünsche Dir Gelingen in all Deinen Plänen, die Dein Inneres jetzt beherrschen. Eine große Freude würde es mir sein, wenn Du für all Deine Mühe mit dem Lorbeer des Sieges gekrönt würdest. Denn das wäre das Zeichen dafür, daß Recht doch Recht bleiben muß, trotz aller Neider und Mißgönner, die Dich einstens zu vernichten bestrebt waren. Drum: "Glück auf!" Grüße mir alle, die sich in Liebe meiner erinnern, und sei Du, lieber Onkel, vielmals herzlich gegrüßt u. geküßt
von Deinem dankbaren
Eugen
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Unserm lieben Onkel herzliche Pfingstgrüße! Eugen u. Lisabeth
Heuchelheim, Pfingsten 1912
[an arrow pointing to Lisabeth's name:] die freche Maus auf beiliegendem Bilde
[envelope:]
Abs. Eugen Haas Heuchelheim Rheinpfalz. Germanie
Mister Eugen Klee 1714 Chestnut Str. Philadelphia P.a. North-Amerika
Transcribed by Barbara Baeuerle
Heuchelheim, near Frankenthal
April 28, 1912
My dear Uncle!
You will be getting this letter when steeped in work for the singers' festival. I have a school year full of work behind me as well. Exams went well - and work will begin anew the day after tomorrow. That is when the recruits are arriving again. New toil, new trouble are beginning. Life will never exist without work, and it is this work that keeps us humans in the right balance. Every day cannot be a Sunday; and yet we tend to remember them fondly on workdays. My memories like to take me back so often to the
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days when I was hiking through the beautiful South accompanied by my dear uncle, and when I would bring home with me , from the Swiss mountains, new courage, new strengths and thus new health. Oh, Uncle, I thank you a thousand times! Who knows where I would be today if you had not allowed me to undertake that sea voyage years ago. Those days have been crucial for my life. Don't think that I don't know what you did for me back then. I realize more and more clearly how tightly we belong to each other, you and I. You are standing alone, and so am I. My father is treating me well and does whatever he can for me; but it is behind someone's back. I feel sorry for my father. I love him and have to forgive him, and you, Uncle, mustn't accuse him. He remembers
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you fondly. But there is a power that won't allow him to do act on his own will. My mother would like it best if all traces of his first marriage could be erased. My mother gives in for the sake of peace. - You wrote a few postcards to my father from the trip through Italy. The salutation alone "Dear Brother-in-law" caused a major in-house argument. My father confessed it to me and there is a lot, a lot more that he told me, too, that I will keep silent about. My mother is afraid that one of these days my little sister will not get what is her fair due, because my father has not informed her about his financial situation, and won't do so, either. I, too, know nothing about [underline] my [/underline] mother's financial assets and nothing about my father's. Nor do I want to know it; for I trust my father and am deeply convinced that he will not give in in this respect.
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Sometimes I get the feeling that, at their wedding, my new mother might not have expected me to live long. The Hack family (with the exception of Grandfather) hates me. My mother predicted for me at Pentecost that I would not die a teacher; for I had too much of a cheeky mouth for that. Even in the past there has been enough pain because I managed to get this far alone; for they would have preferred by far to see me not reach my goal and now they are hoping for my downfall and destruction. I just have to pour it all out to you for once; because to whom, if not to you, should I talk about these things. Above all, dear Uncle, I beg you not to judge my father's actions towards you wrongly. He is poorer that poor, and he cried while confessing to me what oppresses him.
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You wrote to me, dear Uncle, that you wanted to reimburse me for my travel expenses and that I should go on a little trip for that money. I thank you for sending me the money, so I can reimburse my father; for it was he, as he told me later, who did not take it out of my bank account but paid for it out of his own pocket. So that trip is not going to happen; because I want to follow up on my obligation first. Once you have something like this off your back, the load is lighter. Most likely I will spend my harvest vacation, which lasts from mid-July to mid-August, in Heuchelheim with my dear Lisbeth. For the fall vacation, however, - September 18 to October 16 - I will be with my father. Perhaps I can manage to save some "dough" ["Knöpfe" = a slang term for money] in order to undertake a small hike in the Palatinate forest.
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I also want to continue working on my travelogue from Italy and Switzerland and try if I can get it accepted by a daily newspaper. The teachers' newsletter cannot take it, because of its size. I have found little time to work on this; for my school work is hard and there is a lot to be done for conferences and employment exams, so that I need what little time there is to go for a walk or to be able to be with my Lieschen. I don't know, I am in such a peculiar mood today, and I feel that I would have done better by postponing my letter until tomorrow. There is not a sign today of a cheerful disposition emerging
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I'll just have to go and see my Lisbeth later. She takes me by my head and ears and turns me around again. She asked me to send you very sincere regards from her in my next letter to you, because you always remember her in your letters. She is a sweet good girl; my second mother. And she loves you, without having met you, since you are doing so many good things for me. I told her a lot about you and last year's journey with you, and she is happy when I tell her about the beautiful little places we want to go and see for our honeymoon. But that can wait. Yesterday we went to Worms, together with her parents, to buy new straw hats [underline] but real ones [/underline]. We took the hunting vehicle
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which belongs to Lisbeth's mother. It was just beautiful in the spring landscape. You are steeped in work, dear Uncle, I wish you success for all your plans which dominate your thoughts right now. It would be a great joy for me if you were crowned with the laurel of victory for all your efforts. For that would be the sign to prove that right still has to remain right, despite all those who envy or begrudge you, who tried to destroy you in the past. Therefore: "Good luck!" Say hello to all who remember me fondly and to you, dear Uncle, many sincere greetings and kisses from your grateful Eugen
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To our dear Uncle sincere Pentecost greetings! Eugen and Lisabeth
Heuchelheim Pentecost 1912
[an arrow from "Lisabeth" points to the following remarks]: the cheeky mouse in the included picture
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envelope:
Abs. Eugen Haas Heuchelheim Rheinpfalz. Germanie
Mister Eugen Klee 1714 Chestnut Str. Philadelphia P.a. North-Amerika
Translated by Barbara Baeuerle