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Otterberg den 6-ten August 1899
Mein lieber Eugen!
Ich bin allein zu Hause, und möchte nun so gerne ein Stündchen zu Dir plaudern, obwohl Du in einer mir fremden Welt, und andern Sphäre lebst, so weiß ich ja doch, daß Du gerne auch den Worten der Heimath lauschest. Heute ist die Kirchweihe auf dem Blechhammer, wie manch schmerzliches Erinnern ruft dieser Tag in meiner Seele wach, wie ging vor Jahren mein theurer Vater, mein liebes fleiß= iges Mütterchen, sowie Dein guter Vater, doch so gerne dahin, um durch Fleiß, Humor und Umsicht, die Ein= nahmen & das [roman:]Renomé[/roman] der Wirth= schaft zu mehren. Nun ruhen alle
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der Erdensorgen entrückt, schon lange, in kühler Erde. Heute konnte Nur Philipp hingehen, & Morgen wenn Philipp zu Hause, hilft Mathilde der Tante aus, ich selbst kann nicht, den ich fühle mich schon längere Zeit gar nicht wohl.
Heute vor elf Jahren war ich auf dem Donnersberg zur Cour, Philipp war dazumal in Speyer in der Lehre & besuchte mich, war es nicht auch in demselben Jahre, als Du mit einem Freunde eine Fußtour machtest, & mich vorübergehend be= suchtest? Ach wie vieles liegt doch zwischen heute und damals! Wie freute ich mich Deines lieben Briefes, noch mehr Deines Wohlergehens & Deiner Zufriedenheit mit Deinem Berufe, könnten jetzt Deine lieben Eltern Ihren Liebling sehen!
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der Erdensorgen entrückt, schon lange, in kühler Erde. Heute konnte nur Philipp hingehen, & Morgen wenn Philipp zu Hause, hilft Mathilde der Tante aus, ich selbst kann nicht, den ich fühle mich schon längere Zeit gar nicht wohl.
Heute vor elf Jahren war ich auf dem Donnersberg zur Cour, Philipp war dazumal in Speyer in der Lehre & besuchte mich, war es nicht auch in demselben Jahre, als Du mit einem Freunde eine Fußtour machtest, & mich vorübergehend be=suchtest? Ach wie vieles liegt doch zwischen Heute und Damals! Wie freute ich mich Deines lieben Briefes, noch mehr Deines Wohlergehens & Deiner Zufriedenheit mit Deinem Berufe, könnten jetzt Deine lieben Eltern Ihren Liebling sehen! [end page]
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aber auch ein schöner Tag, und nahmen wir mach schöne, und freudige Erinnerung mit fort, die noch lange in unsern Herzen nachklingen werden. Ach könnte ich doch auch Dich einmal so überraschen, ob Du Dich Deiner alten Baase dann nicht schämen würdest?
Wie thut es mit oft so leid, daß ich so ohne alle Verwandte hier lebe, wie manch schöne glückliche Stunde würden wir uns gegeseitig bereiten, wie hatte ich mir in früheren Jahren die Zukunft so ganz anders gedacht! Schon längere Zeit lebt der sogenannte Goldonkel Herr Kirchner hier, derselbe hat seiner Nichte, Frau Feikert das Notärische Haus zum Preise von 14 Tausend Mark gekauft, seine Frau, sowie Minchen Kirchner sind ebenfalls hier, und wollen in einigen Wochen die Reise nach
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aber auch ein schöner Tag, und nehmen wir mach schöne, und freudige Erinnerung mit fort, die noch lang in unsern Herzen nachklingen werden. Ach könnte ich doch auch Dich einmal so überraschen, ob Du Dich Deiner alten Baase dann nicht schämen würdest?
Wie thut es mit oft so leid, daß ich so ohne alle Verwandte hier lebe, wie manch schöne glückliche Stunde würden wir uns gegeseitig bereiten, wie hatte ich mir in früheren Jahren die Zukunft so ganz anders gedacht! Schon längere Zeit lebt der sogenannte Gohlonkel Herr Kirchner hier, derselb hat seiner Nichte, Frau Feikert das Notärische [?] Haus zum Preise von 14 tausend Mark gekauft, seine Frau, sowie Minchen Kirchner sind ebenfalls hier, und wollen in einigen Wochen die Reise nach
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Amerika wieder antreten.
Bis wann wirst Du einmal nach Deutschland kommen? Malchen macht schon Pläne, wie schön sie alles zu Deinem E[m]pfange herrichten will. Beinah hätte ich der schönen Bilder vergessen zu erwähnen, welche uns Malchen von Dir zeigte, gelt, die hat ein Künstler gemacht?! Wir waren alle ganz überrascht, und hätten gar zu gerne eines gehabt, doch Malchen konnte sich von keinem trennen, und so möchte ich halt Dich ganz ergebenst um eines bitten.
Mathildchen ist seit 4ten Juli wieder aus dem Pensionate zu= rück, sie ist der Sonnenschein des Hauses, munter und fidel, und voll köstlichen Humors.
Lenchen ist über ihre Jahre ernst,
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Amerika wieder antreten.
Bis wann wirst Du einmal nach Deutschland kommen? Malchen macht schon Pläne, wie schön sie alles zu Deinem Empfange herrichten will, Beinah hätte ich der schönen Bilder vergessen zu erwähnen, welche uns Malchen von Dir zeigte, Gelt, die hat ein Künstler gemacht?! Wir waren alle ganz überrascht, und hätten gar zu gerne eines gehabt, doch Malchen konnte sich von keinem trennen, und so möchte ich halt dich ganz ergebenst um eines bitten. Mathildchen ist seit 4 tem Juli wieder aus dem Pensionate zur=ück, sie ist derSonnenschein des Hauses, munter und fidel, und voll köstlichen Humors.
Lenchen ist über ihre Jahre Ernst,
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und betrachtet das Leben nicht von der heiteren Seite, o, mögen ihre Zukunftswege nicht all zu rauh sein, auf daß nicht in die jungen Jahre schon der Reif des Herbstes fällt.
Also Du hast keine Zeit zum Heirathen,? das macht mich lachen, ich denke wenn einmal die Rechte in Deinen Gesichtskreis tritt, Du auch Zeit dazu findest, Dich zu verlieben. Nicht nach Jahren und nicht nach den Silberlocken des Scheitels mißt das Alter; das Herz prüfe vor allem zuerst. Oft bei braunem Gelock sind matt die Schläge des Herzens, oft in der alternden Brust klopfet ein jugendlich Herz.
Neues, mein lieber Freund, kann ich Dir aus Deinem Heimaths= örtchen wenig berichten, und
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und betrachtet das Leben nicht von der heiteren Seite. O, mögen ihre Zukunftswege nicht all zu rauh sein, auf daß nicht in die jungen Tagen schon der Reif des Herbstes fällt.
Also [u]Du[/u] hast keine Zeit zum Heirathen? das macht mich lachen, ich dachte wenn einmal die [u]Rechte[/u] in Deinen Gesichtskreis tritt, Du auch Zeit dazu findest, Dich zu verlieben. Nicht nach Jahren und nicht nach den Silberlocken des Scheitels mißt das Alter; das [underline:] Herz prüfe vor allem zuerst. [/underline] Oft bei braunem Gelock sind matt die Schläge des Herzens, oft in der alternden Brust klopfet ein jugendlich Herz. [Kommentar unten] Neues, mein Lieber Freund, kann ich Dir aus Deinem Heimath= örtchen wenig berichten, und
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das Wenige bietet nichts Erfreuliches Denke Dir, unser Lieber Nachbar, Herr Max Kruel, ist bald nach Ostern gestorbe[n] und war das Beileid allgemein. Welch edler Mensch wurde da leider allzufrüh, (er zählte erst 42 Jahre) seinem Wirkungskreise & seiner lieben trauern= den Familie entrissen. Die Apotheke ist an seinen Schwager, Herrn Schnell ver= kauft, und bedarf es nur noch der Ge= nehmigung der Regierung. Frau Kruel will mit ihrem Töchterchen wieder nach Dürkheim, ihrer Vaterstadt, wo noch ihre Eltern & eine Schwester lebt, ziehen. Ebenso ist auch unser Nachbar Staubitz rasch aus dem Leben geschieden, und vor vierzehn Tagen, dein alter Nach= bar Trupp von der Neugasse, sein Sohn der längere Zeit in Amerika lebte, ist schon über ein Jahr hier.
Lebe nun wohl & sei herzlichst gegrüßt von Deiner treuen Cousine Le. sowie von all meinen Lieben.
[left margin, rotated 90°, top to bottom] Eben schlägt es 12 Uhr Nachts, und muß ich, um noch einige Stunden Schlaf zu genießen, jetzt schließen
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das Wenige bietet nichts Erfreuliche[s] Denk Dir, unser Lieber Nachbar, Herr Max Kruel, ist bald nach Ostern gestorbe[n] und war das Beileid allgemein. Welch edler Mensch wurde da leider allzu früh, (er zählte erst 42 Jahre) seinem Wirkungskreise & seiner lieben trauern=den Familie entrissen. Die Apotheke ist an seinen Schwager, Herrn Schnell ver=kauft, und bedarf es nur noch der Ge=nehmigung der Regierung. Frau Kruel will mit ihrem Töchterchen wieder nach Dürkheim, ihrer Vaterstadt, wo noch ihre Eltern & eine Schwester lebt, ziehen. Ebenso ist auch unserNachbar Naubitz rasch aus dem Leben geschieden, und vor vierzehn Tagen, dein alter Nach=bar Trupp von der Schaugasse sein Sohn der längere Zeit in Amerika lebte, ist schon über ein Jahr hier.
Lebe nun wohl & sei herzlichst gegrüßt von Deiner treuen Cousine B. sowie von all meinen Lieben.
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Eben schlägt es 12 Uhr Nachts, und muß ich, um noch einige Stunden Schlaf zu genießen, jetzt schließen
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Deiner lieben Schwester geht es eben= falls sehr gut, sie hat aber auch einen gar herzigen Mann, es ist ein prächt= iger Mensch, ein wahrer, biederer Charakter. Am 18=ten Juni waren Lenchen, sein Bräutigam, und ich dort zu Besuch, leider konnten wir nur einige kurze Stunden dort verweilen, doch hatten die wenigen Stunden reichen Innhalt, denn glaube mir, es waren die Glücklichsten, ungetrübtesten, die ich schon lange verlebt. Leider konnte ich unsern Besuch nicht vorher an= melden, da ich so wenig Herr meiner Zeit bin, und so mußten wir halt die armen Menschen überfallen. Ich malte mir schon im Geiste die überraschten Gesichter aus, ach es war aber auch zu lieb und zu schön, als Malchen uns erkennend, aus dem Garten uns entgegen lief, und die Hände über dem
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Deiner lieben Schwester geht es eben= falls sehr gut, sie hat aber auch einen ganz herzigen Mann, es ist ein prächt= iger Mensch, ein wahrer biederer Charakter. Am 18-ten Juni waren Lenchen, sein Bräutigam, und ich dort zu Besuch, leider konnten wir nur einige kurze Stunden dort verweilen, doch hatten die wenigen Stunden reichen Innhalt, denn glaube mir, es waren die Glücklichsten, ungetrübtesten, die ich schon lange verlebt. Leider konnte ich unseren Besuch nicht vorher an=melden, da ich so wenig Herr meiner Zeit bin, und so mußten wir halt die armen Menschen überfallen. Ich malte mir schon im Geiste die überraschten Gesichter aus, ach es war aber auch zu lieb und zu schön, als Malchen uns erkannd, aus dem Garten uns entgegen lief, und die Hände über dem
[revised version by Bettina Hess's Transcription Group]
[page 8 = letter page 4]
Kopf zusammenschlug, und uns ein= über das andere Mal umarmte, ach diese Freude hättest Du mit ansehen sollen! – – –
Ein nicht minder freudig erschrockenes Gesicht machte Heinrich, doch bald saßen wir in dem gemütlichen Zimmer um den reich besetzten Tisch, und ließen es uns nach den Strapatzen der Reise, (unterwegs hatte uns noch ein Gewitter überrascht) köstlich munden, gedachten dabei in Liebe Deiner, und leerten ein Gläschen auf Dein Wohl!
Malchen führte mich sodann im ganzen Schulhause herum, und freute ich mich der schönen Räume, und des Glückes Deiner Lieben. Nach acht Uhr traten wir den Heimweg an, und fuhren mit dem letzten Zuge nach der Lamperts= mühle, & betraten gerade unser Haus, als die nahen Turmschläge Mitternacht verkündeten, es war ein heißer,
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Kopf zusammenschlug, und uns ein= über das andere Mal umarmte, ach diese Freude hättest Du mit ansehen sollen! - - -
Ein nicht minder freudig erschrockenes Gesicht machte Heinrich, doch bald saßen wir in dem gemütlichen Zimmer um den reich besetzten Tisch, und ließen es uns nach den Strapatzen der Reise, (unterwegs hatte uns noch ein Gewitter überrascht) köstlich munden, gedachten dabei in Liebe Deiner, und leerten ein Gläschen auf Dein Wohl!
Malchen führte mich sodann im ganzen Schulhause herum, und freute ich mich der schönen Räume, und des Glückes Deiner Lieben. Nach acht Uhr traten wir den Heimweg an, und fuhren mit dem letzten Zuge nach der Lamperts= mühle, & betraten gerade unser Haus, als die nahen Turmschläge Mitternacht verkündeten, es war ein heißer,