Rehweiler, 29. Januar 1916
Meine Lieben!
Heute Morgen brachte mir die Post die Festschrift der Arion mit den beigelegten Zeitungsausschnitten. Leider kamen die Drucksachen sehr beschädigt an und verraten sie die Gefahr einer Reise über das Weltmeer in Kriegszeiten. - Jetzt, nach der Lektüre der Drucksachen, kann ich mir ein Bild machen, wie großartig das "Goldene Jubelfest" war und welch hervorragende Arbeit Du, lieber Onkel, dabei geleistet hast. Wie glücklich muß Deine Gattin, meine liebe Tante, sein an der Seite eines solch berühmten Mannes ihre Tage zu verleben, ihn in seinem Sinnen und
[new page]
Denken, in seinen Idealen zu unterstützen als treu sorgende Gattin. Euch beiden gilt mein Glückwunsch zum Erfolge dieses großen Tages. - Wie müssen diese herrlichen Chöre, die den Geist der Freiheitskriege verkündigen und auch so recht der heutigen weltgeschichtlichen Zeit angepaßt sind, durch Arions Festhallen geklungen haben! "Gothenzug" ist mir bekannt, ebenso Schwertlied, Gebet während der Schlacht u. Lützower wilde Jagd; letztere nur in der Volksmelodie. Deine Komposition "Das stille Tal" kenne ich ebenfalls. Was die Lützower angeht, so möchte ich Euch mitteilen, daß ein pfälzisches Infanterieregiment: Das x-te in x (Name teile ich nach dem Kriege mit) wegen seiner Tapferkeit jetzt auch
[new page]
den Todenkopf erhalten hat. Es wird nur das fliegende Regiment genannt; denn heute kämpft es an der Westfront, nach drei Tagen in den Schneefeldern Rußlands, dann hilft es in Serbien das Land mit eisernen Besen sauber machen und dann grüßt es wieder den treuen Bundesgenossen unter dem Halbmonde. - Zum ersten Male lese ich in dem Textbuche den Text des letzten Kaiserpreislieds: Die Tiroler Nachtwache 1810. Dieser Chor muß sehr schwer sein; denn der Text verrät das schon. Um so anerkennenswerter, damit gesiegt zu haben. Sehr ansprechend im Texte ist das Finale aus Mendelssohns "Loreley". Wie herrlich müssen Chor und Orchester das zu Gehör gebracht haben! Ich hätte nur den einen Wunsch, meine Lisbeth und ich hätten diesem großen
[new page]
Konzert beiwohnen dürfen. Wie hätte sich da meine Braut gefreut; denn sie ist eine große Freundin von Musik und Kunst überhaupt. Sie wird, wie ich, schon Freude haben bei der Lektüre der Drucksachen. Jetzt allerdings, in dieser schweren, ernsten Zeit ist wenig Gelegenheit zum Theater- und Konzertbesuche. Wenn dereinst einmal die Friedensglocken einem siegreichen Deutschland läuten, dann ist zu solchen edlen, erhabenen Dingen wieder eher Gelegenheit. Dann wird auch unser Volk, geläutert und gereinigt durch den Ernst des Krieges, sein Herz mehr der edlen Musik widmen. Jetzt aber braucht man Geld und Zeit nötiger zu anderen Dingen. Deine Festrede, sowie auch die Drucksachen werde ich, Deinem Wunsche gemäß, kommenden Samstag
[new page]
persönlich zur "Pfälzischen Presse" bringen, damit sie veröffentlich werden. Auch wird man einige Abbildungen aus der Festschrift in die Zeitbilder drucken können. Vielleicht ermöglicht sich auch eine Aufnahme der Bilder in der bedeutensten Familienzeitschrift Deutschlands: der Woche. Nun noch etwas Persönliches. Ich habe mein Prüfungszeugnis in Händen und bin mit dem Resultat der Prüfung recht zufrieden. Ich habe mir den 7. Platz erobert und habe die Prüfung mit einem guten IIer bestanden. Note I kam nicht hervor. Ich selbst habe in einem Fache: Schulehalten (Lehrprobe) die Note 2 - 1. Ich bin mit diesem Resultat recht zufrieden; denn es ist der Lohn für anstrengende Arbeit. Gesundheitlich
[new page]
war mir allerdings die Anstrengung nicht von Nutzen; denn ich fühle mich während dieses Winters nicht recht wohl. Das liegt wohl in der Witterung; denn wir haben den ganzen Winter sehr unbeständiges, nebliges Wetter. Dann der Ernst der Zeit, der auf den Menschen lastet! Wenn ich allerdings in der Pflege meiner Lisbeth sein könnte, würde es auch besser gestellt sein. Doch das kann jetzt nicht sein; denn jeder Mensch muß jetzt dem Vaterlande dienen, soweit in seinen Kräften steht. Es wird auch wieder einmal eine Zeit kommen, wo ich anstatt 80 Kinder auf einmal zu unterrichten, eine leichtere Schule bekomme. "Deutschland muß siegreich sein, trotz Not und Tod", das ist die Parole eines jeden Deutschen
[new page]
draußen im Felde und daheim. Wenn das Ringen auch lange wärrt, einmal kommt doch der Tag des Sieges. - Indem ich noch herzliche Grüße meiner lieben Braut übermittele und ebensolche von dem Sohn des Lehrer Graf in Otterberg, welcher Verwalter in Landstuhl ist und mit welchem ich öfter zusammenkomme, bin ich in alter Liebe und deutscher Treue
Euer Eugen
L. Onkel!
Ich weiß nicht, ist es Dir schon bekannt, daß Ende September 1915 Großvater August Heck in Kaiserslautern gestorben ist?
Transcribed by Barbara Baeuerle
Translated by Barbara Baeuerle