Callbach, 25 August 1909
Lieber Onkel!
Jetzt, da die goldene Ferienzeit schon bald wieder ihrem Ende naht, komme ich erst dazu, Dir, lieber Onkel, einige Zeilen zu schreiben. Ich verschob es immer von einem Tage auf den andern; aber ehe man sich versieht fliegt dieser so vorüber. - Ja, das ist dieses Jahr einmal eine schöne Ferienzeit, so wie ich sie mir schon lange gewünscht hatte. Endlich bin ich jetzt glücklich in den Oberkurs vorgerückt und ich hoffe, daß es jetzt ganz zu einem guten Schlusse geht. - Es ist bald Zeit. Während der Schulzeit hatte ich mir soviel von meinem Taschengeld gespart, daß ich endlich den schon lange gehegten Wunsch befriedigen und mit meinem Freunde eine Ferienwanderung unternehmen konnte. Vor drei Wochen etwa machten wir uns des Morgens früh auf und fuhren nach
Weitenthal und von da ging es per Fuß: Drachenfels, Lempertskreuz, <?Kleinbirt?>, Weustedf. 35 km. 2. Tag. Weustadt, Schünzel bei Edenkoben (Diechefinstertal und das Kaltenbrunnertal) Forsthaus Haldenstein, Forsthaus Helmbach, Taubensuhl, Eußertal. 48 km. 3. Tag. Eußertal, Annweiler, Trifels, Klingenmünster, [?] Lorggeborn [/?], durch das Dahner Felsenmeer nach Dahn. Nahezu 50 km. 4. Tag. Dahn, Hinterweidenthal, Kaltenburg. Pirmasens. 5. Tag. in Pirmasens und Umgegend. 6. Tag. per Bahn nach Kusel; von da zu Fuß nach Ruine Lichtenburg, Remigiusberg, [?] Tortsberg [/?], Königsberge, [illegible]stein. Von da ging es Samstagsabends mit dem letzten Zug heim. Das war großartig. Und unser Pfälzer Ländchen ist so schön, so wunderschön. Da habe ich es einmal so recht kennengelernt mein Heimatland mit seinen stundenlangen Waldungen,
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voll prächtiger Bäume, wunderschön blühendem Heidekraut und herrlichen Spazierpfäden; mit seinen saftgrünen, blumenübersäten Tälern, Bächlein fließen und muntere Rehlein auf der Weide gehen; mit seinen staubigen Landschaften, wo der "wandernde Bursche" am Rande des Grabens sitzt und sich in der Mittagssonne die schöne Gegend durch das Loch im Stiefel betrachtet; die prächtigen Dörfer mit hohem Kirchturm, altem Fach- und Schnitzwerk; die schönen Städte und Städtlein mit all ihrem regen Leben und Treiben. O, lieber Onkel, dies ist alles so schön, so schön, daß man es nicht beschreiben kann. Und in einem solchen Ländchen sollen keine Ideale mehr zu finden sein? O, sie sind noch vorhanden, - überall. Am allerschönsten war es auf dem Drachenfels. Da war ich so ganz im Betrachten der Pfälzer
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Wälder versunken, als auf einmal mein Freund das Liedchen sang und ich unwillkürlich mitsingen mußte: "Mein Pfälzer Land, wie schön bist du." Nur ungern nahm ich von dem lieben Pfälzchen Abschied. und auf dem ganzen Wege ließen mich die Gedanken an den schönen Wald nicht eher los, bis sie sich Luft machten in folgenden schlichten Versen:
[The following poem by the author of the letter is written in the regional dialect, Pfälzerdeutsch, which explains the unconventional spelling:]
Drachefels
Ganz im Pfälzerwald vesteckt
Mitte drin in unserm Land
Stoht a' mächtig großer Berig,
Drachefels wird der genannt.
Uf dem hun ich heit gestanna,
Hun geguckt weit, weit zurück. -
Nix als Äusamkeit un Frieve
Gar kän Laut vum Weltgebraus.
Wüt un brüt kän Haus, kän Häusche.
Nix als Wald un lauder Wald.
Nix als Berig, lauder Berig
Un daruf sunscht nix - als Wald.
Umr mer is er gelege
Wie a weit, weit mächtig Meer
Un die Gippel sun [?] geschnugelt [/?]
Hun gewunscht wies Welleheer.
Un de Wald der is so herrlich, -
Un de Wald der is so schön! -
Un de is mein Lied erklunge
Weit [?] hinaus von selb'ger [/?] Höh
Un a Falk hots ufgeweckert
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Vun seim Horscht im Felsehang
Un der is davun geflohe
Met meim Liedche, met meim Sang.
Un jetzt muß ich's suche gehe
In dem schöne Pfälzerwald,
Bis es mir aus seiner Buche
Luschdig, froh entgege schallt.
Rasch werts dann ins Ränzel gebunna,
Ham gedrah in schnellem Sprung
Un em Schätzche geb em liewer
denn vor das wars jo gesung.
Aber das Liedlein ließ sich nicht mehr finden, soweit wir auch in allen Gauen suchen mochten; nun so gingen wir halt ohne es heim und dem [end page]
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einen eilten noch morgens andre nach. Montags waren wir ausgezogen und Sonntags kamen wir heim - natürlich ziemlich ermüdet; denn wir hatten Tag für Tag im Marschieren Leistungen gemacht deren wir uns wahrlich nicht zu schämen brauchen. Wir waren feldmarschmäßig ausgerüstet, und wurde tagsüber kalte Küche gemacht, bis wir jedesmal abends ein tüchtiges Abendessen einnahmen. Mich hat es nur gewundert, daß ich die ganze Tour mit Ausnahme großer Müdigkeit ohne alle schlimmen Folgen aushalten konnte. Ein Übelbefinden war gar nicht zu verspüren - im Gegenteil, ich fühle mich gesund, sark [sic], kräftig und glücklich. - Zu Hause harrte meiner eine neue Überraschung. Wir hatten nämlich als meine Lehrerin, eine Freundin von mir von Kaiserslautern her, ein Fräulein Dick, bekommen, eine ausgezeichnete
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Musikerin und ich glaube nicht, daß ich zuviel sage, wenn ich behaupte, daß sie die beste Klavierspielerin in der ganzen Pfalz ist; denn als solche ist sie weit und breit bekannt. Sie hat dieses Jahr in unserem Schlußfest, das wir in der Fruchthalle abhielten, großartigen Erfolg erzielt. Von diesem Fest werde ich Dir nächstes Mal schreiben, für heute würde es zuviel. Die Überraschung kannst Du Dir denken, als sich Fräulein Dick als Lehrerin von Callbach vorstellte. So gab es in den kommenden Tagen Abwechslung genug und manch großartiges Werk berühmter Meister brachte uns Fräulein Dick's Kunst zu gehör; aber auch manch lustiges Volksliedchen flatterte uns vom Klavier entgegen und darunter auch mein: "Pfälzerland, wie schön bist du." Jetzt sind Ferien - Fräulein Dick ist wieder daheim und das Klavier steht in Ruhe; denn ich wage mich aus Ehrfurcht vor wirklicher Kunst schon gar nicht mehr daran. Fräulein Dick sagt zwar nur üben und üben und dann geht es schon - nun ich will sehen. Glücklich würde ich mich wirklich schätzen, wenn ich auch ein solcher Musiker wäre wie Fräulein Dick. Wer ist Lizzi? Ich habe einen Brief ... [illegible]
[top margin, upside down:] Ella nichts mehr hören. Bitte Nachricht! Karl hat kommenden Sonntag [?] Vor [/?] spiel. Ich gehe nicht hin. Mit herzlichen Grüßen an alle, vor allem aber an Dich, lieber Onkel, von Deinem Dich liebenden Neffen Eugen Haas
[Envelope:]
Abs: Eug. Haas Callbach/ bei Meisenheim Germany. Rheinpfalz
Mister Eug. Klee 1621 N. Marschall Str. Philadelphia P.a. North Amerika
Transcribed by Barbara Baeuerle
Callbach, August 25, 1909
Dear Uncle! Only now that the golden vacation time is approaching its end, I find the time to write a few words to you, dear Uncle. I kept postponing it day after day; but before you turn around, another one is gone. - Well, this year it is a beautiful vacation, just like I had always hoped for. Finally I have made it into the senior class and I do hope that it will lead to a positive end. - It is about time. I had saved so much of my allowance during the school year that at long last I was able to fulfill a wish of mine that I had cultivated for a long time, and so I could go on a vacation hike with a friend of mine. Some three weeks ago we started out in the early morning, went to
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Weitenthal and from there on foot: Drachenfels, Lempertskreuz, [?] Kleinbirt [/?], Weustedf. 35 km. 2nd day. Weustadt, Schünzel near Edenkoben (Diechefinster Valley and Kaltenbrunner Valley) Forestry Haldenstein, Forestry Helmbach, Taubensuhl, Eußertal. 48 km. 3rd day. Eußertal, Annweiler, Trifels, Klingenmünster, [?] Lorggeborn [/?] through the Dahn Rocket Sea to Dahn. About 50 km. 4th day. Dahn, Hinterweidenthal, Kaltenburg. Pirmasens. 5th day. in and around Pirmasens. 6th day. by train to Kusel; from there on foot to the ruin Lichtenburg, Remigiusberg, [?] Tortsberg [/?], Königs Mountains, [illegible] Stone. From there we took the last train on Saturday evening to get home. That was magnificent. And our little Palatinate country is so beautiful, so very beautiful. This way I have really gotten to know my homeland with its hour long forests
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full of gorgeous trees, beautifully blooming heather and great hiking paths; with its juicy green valleys decked out in blossoms, where brooks are running and lively deer walk on the pastures; with its dusty landscapes, where the traveling journeyman sits at the edge of the ditch, enjoying the beautiful surroundings in the midday heat through a hole in his boot; the magnificent villages with a high steeple, with old half timber and wood carvings; the friendly towns and little towns with their hustle and bustle. Oh, dear Uncle, all this is so beautiful so beautiful, that it cannot be described. And in such a little country, they say, no more ideals are to be found? Oh, they are here alright, everywhere. I liked it the very best on Drachenfels. It was there that I was completely sunk into contemplation of the Palatinate
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forests, when all of a sudden my friend sang this little melody and I joined in involuntarily: "My Pfälzer Land, how beautiful you are." It was only with regret that I parted with the dear Palatinate country and all along the path my thoughts of that beautiful forest did not leave me until they found a vent in the following simple verses:
[poem, “Drachenfels,” untranslated]
...But the little melody was not to be found anymore, much as we looked everywhere; well, so we went home without it,
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and even the same morning that one was followed by new ones. We had left home on Monday and returned on Sunday - quite exhausted of course; because day after day we had accomplished remarkable marching distances, of which we truly don't need to be ashamed. We were equipped like soldiers for a march, and in the daytime we ate cold meals, until we always had a hearty meal in the evening. I was only surprised that I was able to tackle the whole tour without any bad consequences, except for utter fatigue. Never did I feel bad at all - quite the contrary, I feel healthy, strong, energetic and happy. - At home a new surprise was waiting for me.The new teacher we now got turned out to be a friend who I knew from way back in Kaiserslautern, a Miss Dick, an extraordinary
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musician, and I don't think I am exaggerating by saying that she is the best pianist in all of the Palatinate; for she is known as such all over the area. This year she was extremely successful at the graduation ceremony which we held in the fruit hall. I will write more about this ceremony in my next letter, it would be too much for now. You can just imagine the surprise when Miss Dick introduced herself as the new teacher for Callbach. This way it was never boring for the next few days, and Miss Dick's art managed to make us listen to many a magnificent oeuvre of famous artists; but many a cheerful folk song fluttered our way as well, from the piano, among them also my "Pfälzerland, how beautiful you are." Now we are on vacation. Miss Dick is back home and the piano is resting; because out of awe for real art I don't dare go near it anymore. Miss Dick keeps saying, though, just practice and practice and you will get there - well, I will see. I would honestly consider myself lucky if I was a musician like Miss Dick. Who is Lizzy? I have a letter [remainder illegible]
[Top margin, upside down:] ... hear nothing from Ella. Please send me news! Next Sunday Karl is having an [?] audition [/?], I am not going. With sincere regards to everyone, especially however to you, dear Uncle, from your loving nephew
Eugen Haas
Translated by Barbara Baeuerle