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Marianne von Rappard (Hassel)
Marianne von Rappard (Hassel)
Hamm den 10ten May 1872,
Geliebter Sohn!
Dein sehr willkommener Brief vom 15 Aprill, traf zu
meiner größten Freude genau am 6ten May hier ein, u
was ich sehr angenehm überrascht daß Du meinen Geburtstag
so treu im Gedächtniß bewahrt hattest. Ich danke Dir aus
vollem Herzen für Deine Glück u. Seegenswünsche u. hoffe
daß der gütige Gott sie alle möge in Erfüllung gehen lassen.
Wenn meine Gesundheit es mir auch nur sellten erlaubt, mich
mit meinen Kindern brieflich zu unterhalten, so lebe ich doch
im Geiste immer mit ihnen fort, u meine treusten Wünsche
für ihr Wohl u Fortkommen begleiten u umgeben sie auf
allen ihren Wegen. So ist es auch lange her, geliebter Wilhelm
daß keine Brieflein von eigener Hand dich erreichte, u noch
einen habe ich Dir nicht ausgesprochen, wie sehr mich Deine
reiche schöne Weihnachtsgabe erfreute u. wie sehr dankbar
ich es anerkenne, das Du durch Fleiß u Ausdauer Dein Aus=
kommen Dir erwirbst u auch dabey liebevoll meiner ge=
denkst u zu meiner Pflege u Erleichterung rechtschaffen bei=
trägst! Der Abend meines Lebens ist ja schön u herrlich -
Die Liebe u Anhänglichkeit meiner Kinder macht mich froh, reich
u glücklich! Bewahre auch mir dieses Glück u behalte lieb
Deine treue Mutter! -
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Mein lieber Wilhelm!
Aus vorstehenden Zeilen unserer guten, alten Mama, ersiehst Du schon, wie große Freude uns Dein freund= licher Brief abermals gemacht hat, und auch ich danke Dir recht herzlich für Denselben. Da fanden sich ja zum 6ten Mai aus allen Gauen und Him= melsgegenden so viele Beweise der Liebe und An= hänglichkeit ein, schaarten sich gleichsam um das nun 72 jährige Geburtstagskind, daß es eine rechte erhebende, innige Freude war, die wohl zu aufrichtigem Dank gegen Gott und Menschen stimmen konnte. Und nicht allein Kinder und Enkel nahten mit ihren Glück und Segens= wünschen, nein auch hier fanden sich liebe Freunde und Bekannte ein, und gratulierten, und ich kann Dich versichern unsere Stube gleicht augenblicklich fast einem Treibhaus, so köstliche Blumen und Bouquets prangen in Derselben, und wenn es auch draußen jetzt wieder kalt und unfreundlich, in unserm kleinen Heim ist aber Duft und Behaglichkeit. -
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Endlich wirst Du denken und sagen, erhalte ich einen Theil der versprochenen Photogra= phien, an mir hat es aber nicht gelegen, aber es läßt sich immer nicht gleich so bewerkstelligen wie man wohl möchte. Vater und Mutter in größerem Formate sind nach unserm dafürhal= ten recht ähnlich, wir haben sie aus dem Rahmen wieder herausnehmen lassen, um dadurch den Transport zu erleichtern. Schwager Westarp ist sehr gelungen, es sieht ihm frappant ähnlich, Ber= tha ist nicht gut getroffen, sie sieht leidend aus, was sie auch vielfach ist, namentlich hat sie sehr oft arge Kopfschmerzen. Victor, der älteste Sproße, ist nicht dabei, es war keine Ph. [Photographie] von ihm da, und in Brasberg keine Gelegenheit, sie anfertigen zu lassen, jetzt ist er nach Berlin gekommen, da wollen wir dir später gern eine übersenden. Rudolpf ist hübscher wie sein conterfei, er sieht dem Victor ähnlich, er ist jetzt nach Prima [FOOTNOTE: 8. oder 9. Klasse eines Gymnasiums, das heißt insgesamt 12. und 13. Schuljahr] des Kadetten-Corps gekommen, Victor aber erst nach Sekunde. [roman:]Louis[/roman] ist ähnlich, und
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sehr glücklich jetzt Sextaner [FOOTNOTE: Sexta = erste Klasse am Gymnasium, das heißt insgesamt 5. Schuljahr; zu sein. Otto ist schlecht getroffen, der kleine Wolf, eine wahre Ironie, Namen und Erscheinung ist ähnlich. Der kleine Schelm kränkelt viel und macht Bertha manche Sorge. [?][roman:]Goldspohn[/roman][/?] ist recht getrof= fen, Paula weniger, sie sieht entschieden noch besser und jugendlicher aus. - Mein Bild ist 66 gemacht und bin ich seit der Zeit selbstredend wieder älter geworden, namentlich hat mich der letzte Winter sehr mitgenommen, die Mutter war viel leidend und gab mir oft zu großen Sorgen Veranlaßung, da habe ich dann manche Nacht durchwacht, und fühle mich jetzt oft an= gegriffen und müde. Doch das ist Nebensache, wenn es nur mit Mutter wieder besser wird, dann ist Alles gut. Du schreibst, Mutter sollte mal eine Badekur gebrauche, das hält aber der Doctor für sie nicht für gut, wohl eine Veränderung von Luft in schöner Gegend, wo sie nur für die Gesundheit leben kann, aber
[enclosure: photograph]
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[envelope] [roman:]Messieurs Dr. F. W. Hess.
Einliegend: care of Volksblatt.
Photographien.
via Bremen. Cincinnati.
paid.[/roman] im Staate [roman:]Ohio. [/roman] [penciled in in red after paid:] 20
[stamped:][roman:]FRANCO[/roman][/stamped]
[German cancellation stamp, bottom right] HAMM STADT 105 72 4-5M
[ATIBA: see Comments re FORMATTING]
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[blank: backside of envelope with wax seal intact]