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Callbach, den 12. Novemb. 1901.
Mein lieber Schwager! Entschuldige, dass ich deinen lieben Brief, worin du mir zu meiner Wiederverheiratung so herzlich Glück gewünscht hast, so lange unbe- antwortet liess. Der Grund meines Schweigens ist der: Ich wollte zunächst abwarten, wie sich unser neues Verhältnis gestaltet, um dir eingeh- end und der Wahrheit gemäß Mitteilung zu ma- chen. Ich kann dir nur das Beste berichten. Elise hat sich rasch hier eingewöhnt, sie ist eine fleißige und tüchtige Hausfrau und meinem Kinde eine liebe Mutter. Ein recht inniges Verhältnis hat sich zwischen beiden entwickelt, eng haben sich beide an einander angeschlossen, was natür- lich niemand mehr freut als mich. Eugenchen
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ist auch recht brav und folgsam. Nur geht es dem armen Kerl eben schwer heraus.Die vielen Verba mit ihrer unregelmäßigen Konjunga- tion machen ihm viel Arbeit, daneben muß er auch noch französisch lernen. Er ist recht flei- ßig, nur dürfte sein Gedächtnis stärker sein. Seit Ostern ist er in der II. Kl--Quinta--. Mit dem 3. Platz kam er in die Quinta. Eben schwankt sein Platz zwischen 5. u. 6. Ich lasse ihnm schon seit Ostern jeden Tag durch den hiesigen Vi- karen Stunden geben -- Lateinisch -- um ihm die schwierige Arbeit zu erleichtern. Im Franzö- sischen unterrichtet ihn seine Mutter und in den andern Fächern ich. Zuviel dürfen wir ihm nicht zumuten, denn er ist schlank aufgeschossen und sein Körper scheint mir doch nicht wiederstandsfähig genug zu sein. Wenn nun nicht jenes schreckliche Gespenst auch bei
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ihm anklopft. Wenn mir auch noch das Letzte einer seligen und glücklichen Zeit genommen würde, dann-- ach, das wäre mir unerträglich. Wie schrecklich hart! Vielleicht sehe ich auch zu schwarz aus allzugroßer Ängstlichkeit. Eugenchen klagt nicht, ist frisch und munter, hat tüchtig Appetit und hat dieses Jahr noch nicht einmal die Schule versäumt.
Mein Lieber! Unwillkürlich und gar oft zieht das Bild aus früheren Tagen an meiner Seele vorüber. Wie manche liebe Erinnerung taucht aus entschwundenen Tagen auf! Das Andenken, das ich meinen lieben und guten Malchen bewahre, ist meine größtes Heilig- tum. Niemand kann mir dieses entreißen. Mein Malchen hat viel mit hinabgenommen. Ich besitze nicht mehr dieselbe Schaffensfreude und dieselbe Begeisterung für meinen
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Beruf wie früher. Ich bin zu den Durchscnitts- lehrern herabgesunken. Wie habe ich mich frü- her begeistern können für soziale u. nationa- le Bestrebungen. Heute is mir alles gleichgiltig(sic). Trotzdem muss ich den Kopf hoch halten, muss von neuem sorgen u. schaffen. Ein neues Leben habe ich auf den Trümmern des alten Glückes begonnen. Was wird mir die Zukunft bringen! Wie geht es dir, Lieber. Glücklich wäre ich, wenn ich dich einmal sehen würde. Wie würde ich mich freuen, wenn ich bei dir einmal so man- ches vom Herzen herunterplaudern könnte. Laut Mitteilung das Bezirks K. Kaiserslautern ist dir ein Urlaub bis 1. Aug. 1903 bewilligt. Eine dauernde Urlaubs- bewilligung kann nur erfolgen, wenn du durch Konsulats- bescheinigung den Nachweis erbringst, daß du dir in Am- erika eine feste Lebensstellung erworben hast. Lebe wohl und lass mir bald ein paar Zeilen von deiner Hand zugehen. Sei herzl. gegrüsst und geküßt von deinem H.Haas Eugen und Elisa senden ebenfalls herzl. Grüsse.