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Cedarcroft, März 18. 1872
Meine liebste Mutter!
Erst heute ist es mir möglich eine ruhige Stunde zu finden, um Dir zu schreiben u. für Deinen letzten lieben Brief (vom 23. Febr.) zu danken. Er brachte mir freilich keine sehr fröhlichen Nachrichten, doch [insertion:] habe/ [/insertion] hatte ich nach dem traurigen Familienereigniß vom 6. Febr. kaum bessere erwarten dürfen.
Was Du von den armen Tanten berichtest, habe ich mir im voraus sagen können; ihr Schmerz konnte nach menschlichem Maßstab kaum anders sein, denn sie haben ja seit vielen Jahren nur für den Dahingeschiedenen gelebt u. gewebt u. haben nun mit ihm alles verloren. Ein solcher Verlust, zumal im hohen Alter, ist immer schwerer u. lastender, wenn keine Kinder vorhanden sind; es fehlt mit ihnen jedes lindernde Element. Daß Dir der Schmerz der Tanten tief zu Herzen gehen würde, hatte ich mir auch gesagt; [one word, strikethrough] er ist ja überhaupt noch eine traurige Zugabe zu dem Verlust, den wir alle mehr oder minder erlitten. Der liebe Vater, das weiß ich, fühlt ihn auch recht schmerzlich, denn er u. der Onkel waren Geistesverwandte. - Was Du von
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einer möglichen pekuniären Bedrängniß der Tante Emilie schreibst, habe ich leider auch gefürchtet; aber ich hoffe doch, daß sie nicht daran leiden wird, das wäre gar zu traurig. Die Herzogin z. B. wird doch gewiß etwas für sie thun, wenn es in ihren Kräften steht.
Daß Du, liebe Mutter, eine Nachfolgerin für Frl. Schildbach hattest, war mir durch die Tante [illegible] berichtet worden. Ich hoffe von ganzem Herzen, daß sie für Euch passen mag. Da es aber kaum zu erwarten steht, daß zwei nach einander nach Deinem Sinne sind - besonders da Du Dich so gut an Frl. Sch. gewöhnt hattest - so möchte ich Dich wohl bitten, nicht gleich anfangs viel von der zweiten zu fordern, sondern etwas Nachsicht u. Geduld mit ihr zu haben, bis sie sich mehr in Deiner Art u. Weise zurecht findet. Niemand kann sehnlicher wünschen, daß sie gut einschlägt, als ich.
An Eva [?] Nirto [/?] habe ich Deine u. Wilhelms Aufträge ausgerichtet. Sie hat mir seitdem schon eine sehr hübsche Handarbeit [?] überschickt [/?], die ich für Dich mitnehmen soll. Wegen der Struwelpeter = Bücher
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habe ich meine Schwiegermutter gefragt, allein sie kann sich durchaus nicht darauf besinnen, ihr Gedächtniß in Bezug auf solche Dinge währt kaum von einem Tag zum andern u. es ist daher sehr wahrscheinlich, daß die Bücher nicht bezahlt waren. Ich werde das besorgen, wenn ich nach Gotha komme. Die Goldfeder besorge ich Dir mit dem größten Vergnügen; Bayard erinnert sich genau wo er sie gekauft hat.
Der milde Winter den Ihr dieses Jahr habt (auch von andern Seiten erzählt man uns davon) u. das zeitige Frühjahr welches bevorsteht, sollte Dir, liebe Mutter, nun doch zu Statten kommen u. Deiner Gesundheit etwas aufhelfen. Wenn es erst schön warm u. trocken wird, so versuche es doch wieder jeden Tag ein kleines Stückchen im Freien zu gehen, nur hüte Dich, daß Du Dich nicht übernimmst. Unser Winter will diesmal gar nicht zu Ende gehen - u. hat doch so frühzeitig angefangen. Gestern schneite es wieder nach Herzenslust u. jede Nacht friert es stark.
Glücklicherweise hatten wir einen ziemlich milden Tag um hierher zu kommen. Wir verließen N.Y. am 14., sind also erst seit wenig Tagen hier. Vorgestern, Deinen Geburtstag, an dem wir Deiner recht liebend gedachten,
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brachte ich größtentheils mit Auspacken zu. Die Koffer aber stehen noch hier in meinem Arbeitszimmer; ich lasse sie auch gar nicht wegschaffen, dann kann ich gleich in sie hineinlegen, was in kurzem doch eingepackt werden muß, einestheils um hier zu bleiben, anderntheils um uns zu folgen. Einen Miether haben wir leider noch nicht gefunden. Beide Aussichten, die wir hatten, sind zu Wasser geworden. Es ist mir dies sehr fatal, da die Zeit doch immer kürzer wird u. ich nicht weiß, was zu thun, ob ich das Haus in Stand setzen soll zum Vermiethen, oder zum Zuschließen? Jedenfalls räume[strikethrough:]n[/strikethrough] ich jetzt schon weg u. packe ein, was doch weggepackt werden muß. Meine Schwiegereltern haben ein Häuschen im Dorfe gemiethet vom 1. April an, doch bleiben sie natürlich hier solange wir bleiben. Lilian setzt hier ihre Studien so viel als möglich fort. Frl. Bender hat ihr mehre Aufsätze aufgegeben, die sie ihr zum Corrigiren nach N.Y. schicken soll. Auch die Klavierlehrerin hat ihr Material zum täglichen Üben hinterlassen; das Latein soll sie auch etwas forttreiben u. sonst müssen wir uns mit Lesen behelfen, was
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kein zu verachtendes Bildungsmittel ist. Bayard u. Lilian u. auch die alten Taylors grüßen herzlich. Auch von mir die herzlichsten Grüße an den lieben Vater u. alle andern Lieben. Mit innigster Liebe Deine T. Marie.
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Verzeihe, daß der Brief diesmal nicht länger ist doch meine
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Zeit ist knapp - so vieles um mich herum drängt - u. auch
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sonst giebt es nicht viel zu berichten. Unsere Bilder sind fertig, sobald ich ein paar [?] Stücken [/?] Pappe verschaffen kann, schicke ich sie Dir.
Transcribed by Barbara Baeuerle