Cassel den 27/1.88.
Mein inniggeliebter [roman:] Hermann! [/roman]
Deine beiden l. Briefe habe ich erhalten, & mich sehr darüber gefreut und wollte ich Dir gleich wieder schreiben, konnte aber nicht dazu kommen, sei mir nicht bös. Du glaubst nicht wie viel wir von Euch Lieben sprechen und wie oft ich an Dich mein liebes Mätzchen, denke. — Bei uns hat es die ganze Zeit recht schlecht gegangen, die arme [roman:] Mama [/roman] war fortwährend sehr elend, es ist gar nicht zu beschreiben was die arme gute [roman:] Mama [/roman] leiden muß, seid länger als sechs Monaten genießt sie nichts weiter als Eier & Milch & selbst das Wenige geht oft Tage lang nicht runter & hat sie dann
immer
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[roman:] O. Curt [/roman] läßt Euch Alle herzlich grüßen. —
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immer erbrechen, aber das ist noch lange nicht Alles, sie hat alles Weh was der Mensch nur haben kann. Es thut mir entsetzlich weh, [roman:] Mama [roman] so leiden zu sehn, und kannst Du Dir denken, daß ich bei Tag & Nacht keine Ruhe habe, ich denke immer ich könnte etwas versäumen. Der Dr sagt immer sie könnte wieder besser werden & noch Jahre lang leben, wenn sich doch der liebe Gott erbarmte und ihr ihre Schmerzen nehm & sie uns noch ein paar Jahre ließ, ich kann sie noch nicht entbehrn, von Herzen gern will ich alles ertragen, wenn ich sie nur noch behalten kann. [roman:] Papa [/roman] geht es eine Zeit wie die andere, ich habe recht viel Last mit ihm, er kann sich gar nicht mehr helfen, & Du weißt ja wie gern
er
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er die Leute beschäftigt. Ich sehe & hörr von der Welt fast gar nichts mehr, [roman:] O. Curt [/roman] ist unser einziger Freund, er kommt fast jeden Tag & besorgt sehr viel für [roman:] Papa [/roman] & ist so lieb & gut mit [roman:] Mama [/roman] & stehts so besorgt, wie Du es nicht besser sein könntest. — Ada wird sehr groß & geht es ihr Gott' Lob gut, Ostern soll sie in eine andere Schule, ich nehme sie sehr ungern aus der Schule, ob es nun besser wird ist noch die Frage. Ich ließ sie so gern etwas Musick lernen, aber [roman:] Papa [/roman] ist nicht dafür, und einen eignen Willen habe ich noch nie haben dürfen, es ist traurig, wenn man immer von den anderen abhängt. Wenn Du, mein liebes, gutes Herz, doch doch mal bei mir sein könntest, ich habe immer große Sehnsucht nach Dir
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Wir wohnen noch immer in der alten Wohnung, gern würden wir ausziehen, doch sind die Wohnungen alle so theuer.
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Dir, & Dir so viel zu [?] sargen [/?] was ich gar nicht schreiben kann, schon oft habe ich mich hingesetzt um Dir zu schreiben, aber ich muß jetzt so viel weinen, ich bin eine ware Thränenquelle, daß ich gar nichts anderes mehr kann, dann denke ich, Dir liegt an meinem Briefe auch nichts, des ewigen klagen wird man müde, aber sieh, liebstes Herz ich kann Dir nichts anderes schreiben, weil ich gar nichts anderes weiß. — In Wahlershausen soll es gut gehen, ich bin seid [roman:] Juli [/roman] nicht dort gewesen. [roman:] W. L. [/roman] war eine 1/2 Stunde zu [roman:] Mamas [/roman] Geburtstag da. — Nun lebe wohl, mein liebes bestes Herzens Mätzchen, denke recht oft an mich & behalte mich [underline*2:] recht [/underline*2] [underline:] lieb [/underline]. Viel tausend Grüße von [roman:] Mama & Papa & Ada [/roman] an Euch Lieben Alle, besonderst sei Du gegrüßt & geküßt von Deiner [roman:] Rösel [/roman].
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Schreibe mir [underline:] recht, recht bald wieder [/underline].