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Knittelsheim, 22. April 1921.
Meine Lieben!
Die Zeitung brachte heute Vormittag beiliegende Note der deutschen Regierung an den Präsidenten der Vereinigten Staaten, in welcher sie das ganze Geschick eines Volkes in seine Hände legt. Ich weinte wie ein kleines Kind bei der Lektüre; denn unser stolzes deutsches Volk legt sich, wirft sich in Verzweiflung zu Füßen Eures Präsidenten und hofft von ihm menschliche Gerechtigkeit. Wahrlich eine solche Macht ward nie einem Sterblichen zuteil. Wird Amerika unter seinem neuen Präsidenten das gut machen, was es uns unter seinem alten an Leid zugefügt hat; denn schon einmal hatten wir Vertrauen und wurden bitter, bitter enttäuscht. Ein ganzes Volk zu den Füßen eines einzelnen Mannes – denkt Euch das einmal aus! Es ist unendlich tief gekommen, mein Vaterland, mein deutsches Volk – das Herz zerreißt! Nur die höchste Not kann ein Volk soweit bringen – auf die Milde, das Mitleid eines einzelnen Menschen zu nehmen. Von alldem was unsere Zeitungen z.Zt über Amerika schreiben, haben wir wenig Hoffnung; denn es ist nichts Gutes. Allerdings unsere Zeitungen stehen unter Aufsicht und sind nur der Abplatsch französischer Zeitungen. Wir Deutsche links des Rheines sollen eben mürbe gemacht werden, durch Trommelfeuer und Honigseim. An uns Lehrern brandet alles empor; denn wir stehen unter den Säulen des Volkes mit an erster Stelle. Und dazu führen wir z. Zt. furchtbare Kämpfe gegen die „schwarze Macht“ – Zentrum in Bayern. Leset beiliegende Zeitungsausschnitte und es wird Euch klar. Wir, die wir der Halt des Volkes sind und sein wollen, werden von unsren eigenen Vorgesetzten, die im Dienst einer „Macht von jenseits den Bergen“ – ultra montan – stehen, in den Staub gezogen. Das schmerzt, das macht elend an Körper und Geist. Innerlich zerissen, zer-
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mürbt durch die vielen Entbehrungen und politischen Kämpfe, blutend aus tausend Wunden, so starren wir ohne Hoffnung in eine dunkle Zukunft in ein Nichts. O du mein armes Volk, du mein einst so schönes, stolzes eichenstarkes Deutschland! „Wenn der Herr die Gefangenen Cyons[insertion:]Zions[/insertion] erlösen wird - .“
Da mitten hinein in den Jammer – eine halbe Stunde später als die Zeitung die Note An Eueren Präsidenten veröffentlichte – traf Euer lieber Brief ein. Noch nie hat mich ein Brief von Euch so aufgerichtet, mir das seelische Gleichgewicht einigermaßen wieder gegeben, wie dieser. Lieber Onkel, Du willst mich in Deinem Briefe wieder hoffen machen mit den Worten: „Noch ist Deutschland nicht verloren“! Ihr Lieben, es ist es, wenn nicht ein Wunder geschieht und eine Wendung bringt. Unser einzige Hoffnung hängt noch an Euch – an Amerika. Alle andern wollen uns wirtschaftlich vollständig dem Elend zuführen – und was dann? Wie lange werden wirs noch halten können? Wie lange werden wir die Willkür, den Kampf aller gegen alle noch bannen? Es geht zum letzten, zum letzten Gang und wahrlich der Gang nach Canossa – Amerika ist unser letzter Gang. Der Krieg hat uns nicht seelisch so zugesetzt, der Krieg mit all seinen Entbehrungen, als jetzt dieser Scheinfriede, wo es uns, was das materielle Leben angeht – Essen u Trinken – besser geht als zu vor. Bis wann sehen unsre Gegner ein, daß ein Deutschland in Trümmer gelegt ganz Europa mit ins Verderben ziehen wird? Wir sollen allein, einzig allein am Kriege schuld sein – wir das deutsche Volk! Gut, nehmen wir es auf uns, was alle mit heraufbeschworen haben – aber dann gebe man uns Ruhe, endlich Ruhe! Wir wollen ja alles gut machen, tun was wir Können, was in unsern Kräften steht. Aber davon uns will man ja gar
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nichts wissen, besondern will ein Feind von uns davon nichts wissen. Der will napolonische Zeiten herbeiführen. Das wird ihm schwerlich gelingen. Lieber schlagen wir alles in Scherben und gehen ehrenvoll unter. Wir Pfälzer bleiben deutsch! Die können uns nehmen, Gut, Ehr, Kind und Weib, aber das Herz bekommen sie nimmermehr! Kennt Ihr Felix Dahn: Ein Kampf um Rom? So wie dort bei dem untergehenden Gotenvolke, so ist es in unsern Herzen beschaffen. Aber ihr kennt auch den Tell! Der fehlt uns Deutschen jetzt. Unser Volk trägt nur einen Haß im Herzen und der wird täglich schlimmer – es ist der Erbhaß und wie gern wären wir bereit Friede zu schließen; denn wir meinen es ehrlich – vernichten aber lassen wir uns nicht. Jetzt sind es nur ohnmächtige Worte; aber es werden auch Taten kommen – heute nicht, morgen nicht; aber bei Fortführung solcher Verhältnisse kommen sie, müssen sie kommen. Denn wenn Feuer Deutschlands Wasser in ständiges Wallen bringt, läuft es über – oder es Verdampft – geht unter und verfliegt in Atom. Stellt Euch ein Deutschland in Atomen vor! Doch mündlich! Ihr kommt ja bald!
Sonntag, 24. April 1921
Es ist Sonntag heute! Ein Frühlingssonntag! Ich komme mit lieb Weib, mit lieb Kind von einem Frühlingsgange zurück. Alles blüht und duftet, Nachtigallen schlagen. Die Berge blauen! Deutsche Berge, die Pfälzer Heimat mit ihren Burgen. Vor allem der Trifels, die einst so stolze Barbarossa-Burg ragt verträumt in die Bläue, erinnernd – mahnend. Ob der alte Barbarosso immer noch schläft im tiefen Bergesinnern. Die Raben fliegen noch aus dem nahen Elsaß herüber, dessen Berge uns mit stillem Heimatsehnen grüßen. Doch der Gang heute Nachmittag hat mich zufrieden gemacht, die Hoch-
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flut der Gefühle etwas eingedämmt und ich bin glücklich in wenigen
Wochen, mit Euch, Ihr Lieben, hineinwandern zu können in die deutschen Berge,
ins deutsche Pfälzer-Land. Auch sind heute früh Eure Zeitungen eingetroffen
und haben mich in manchen Dingen doch anders belehrt. Es geht ein banges Frühlingshoffen draußen durch die Natur – dürfen auch wir noch ein wenig ans
Licht glauben? In Arbeit, im Schaffen, finde ich Ruhe und bei Weib und
Kind. Gestern hatte ich in Landau einen arbeitsreichen Tag – zu meiner Freude;
denn dadurch wir neue Spannkraft geweckt. Durch beiliegende „Pfälzer Lehrerzeitung“ könnt Ihr einen Blick tun in einen Teil meiner Arbeit – es ist der
ideale Teil – ihm gegenüber steht die Schulpolitik, als mein anderes Arbeitsgebiet. In der Mitte zwischen beiden liegt mein Beruf, meine Schule, in welchem
letzten Endes beide Extreme, das ideale und reale – zusammenlaufen. Doch Ihr
kommt ja und werdet sehen.
Welche Freude Ihr uns mit Eurer Zusage gemacht habt, könnt Ihr Euch
denken. Das wird ein Wiedersehen werden! Ihr wollt also bis nach Landau
fahren. Von hier aus geht ein Verkehrsauto nach Knittelsheim. Dieses ist prak-
tischer als der Personenzug nach Offenbach – unserer nächsten Bahnstation
in Richtung Landau. Abfahrt des Autos (zwei große Wagen) ½ 10 Uhr
morgens und 6 20h abends. Abgangsstelle: Post. Doch Ihr gebt mir von
unterwegs telegraphische Nachricht und ich bin rechtzeitig in Landau. Am
besten wird es sein – Eures Gepäckes wegen – wenn wir von Landau
mit einem Wagen nach Knittelsheim fahren. Entfernung: 10 km.
Das werden frohe Wochen werden – für Euch und uns – in der trauten
Heimat, dem schönen Pfälzer-Land!
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Nun zu Deinen Einzelfragen, lieber Onkel! Zunächst herzlichen Dank – im Namen Helenchens – für die Dollarnote. Zur Begründung der Sparkasse kam es sie leider zu spät, aber immerhin ist zum bereits vorhandenen wieder ein Sümmchen hinzugekommen und sie wird sich später darüber freuen, genau so wie ich meine Freude hatte an den jährlichen Weihnachtsgeschenken von Dir, welche mit den Jahren zu einem schönen Betrage angewachsen waren. Was nun den Kauf von Lebensmitteln, Kleider u.s.w. angeht, so würde ich Euch raten in Amerika nichts zu kaufen; denn man bekommt bei uns jetzt alles, allerdings in nicht so guter Qualität als bei Euch. Die Pfalz besitzt Auslandsware übergenug und Ihr könnt bei dem hohen Stand des Dollars bei uns weit mehr kaufen und unsere Banken sind froh, wenn sie Dollarnoten bekommen; denn dadurch wird die deutsche Kaufkraft wieder vermehrt. Ihr spart auch die teure Fracht und man hat die Gewißheit unverdorbene und unbestohlene Ware zu bekommen. Ich gebe Euch umstehend einige Preise. Lisabeth wünscht sich von Euch Kaffee, Tee und Kakao, weil man denselben in nicht solch ausgezeichneter Qualität erhält, wie die in Eurer Sendung. Und wenn Ihr für mich und den „Rauchklub“ eine von den „grünen“ Tabakbüchsen bekommen könntet, wäre ich Euch herzlich dankbar. Sonst aber überlastet Euch nicht mit Gepäck. Gutes Mehl ist auch selten; aber es gibt in Hamburg eine Lebensmittelgesellschaft (amerikanische), welche auf Anweisungen hin, die in Amerika bezahlt sind, Mehl versendet. Habt aber ja keine Angst, Ihr verhungert jetzt nicht mehr in Deutschland. Unser Garten liefert uns bis zu Eurer Ankunft auch mancherlei. Auf unsere eigene Anzucht von Lebensmittel sind wir besonders stolz. Ihr werdet staunen über unsern schönen Garten mit seinen Erzeugnissen, seine Anlagen und seinen Blumenschmuck. Wie freuen wir uns, wenn wir in gemütlicher Gesellschaft in lauschiger Laube uns drinnen zurückerinnern an schönere Zeiten, an frohe Stunden, wenn wir aber auch der ernsten Gegenwart und Zukunft gedenken. In herzlicher Liebe und dankbarer Treue! Euer Eugen Haas, nebst Weib und Kind
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Bücher (Romane) behalte ich zurück, Schwierigkeiten Zollgrenze. Zeitungen in einem besonderen Briefe!
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Preise
1 Pfund frisches Rindfleisch 10 – 14 M. 1 Pfund Butter 20 M.
1 Pfund frisches Schweinefleisch 16 M. 1 Pfund Rinderfett (nicht ausgelassen) 16 M.
1 Pfund frische Wurst 12 -20 M. Wolle schlecht und teuer
1 l frische Milch 2,50 M.
1 Dose eingemachte Früchte 15 – 20 M.
1 Dose (1 Pfund) Corned beef 8 M.
1 Dose Sardinen 5 – 8 M.
1 Pfund geräucherte Fische 5 M.
1 Pfund Schellfische 4 M.
1 Pfund Reis 3 M.
1 Pfund Kaffee 26 M.
Gutes Gewürz selten u. teuer
1 Pfund Cakao 25 M.
1 Pfund Chokolade 20 – 30 M.
1 Paar Schuhe 200 – 300 M.
1 Anzug (fertig) 900 – 1500 – 1800 M.
1 m Anzugstoff 200 – 300 M.
Damenkostüm 1200 – 1500 M.
1 m [?]Woorl[/?] 40 – 50 M.
Herren Hemd 100 M.
1 Pfund Tee 40 M.
1 Stückchen feine Seife 5 M. Alle Sorten Gemüse sind im Garten
1 Pfund Waschseife 8 M. in genügenden Mengen vorhanden
Ausländische Käse 10 – 20 M.
Zucker, Brot und Mehl nur gegen Marken
Im freien Handel Preise verschieden und sehr hoch