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Lisbeth Rasp (Haas)
Lisbeth Rasp (Haas)
[in blue pencil at top:] Rec'd May 31. 1920 [/pencil]
Knittelsheim, 10. Mai 1920
Unsere Lieben --
geht mit der gleichen Post ein Paket mit einem Buche: August Becker: “Hedwig” und ein Paket mit einem Album: “Heimatbilder” zu. Hedwig ist ein Pfalzroman von einem Lehrersohn geschrieben, und spielt im Wasgenwald in der Gegend von Landau, also in dem Gebirge, das wir täglich unmittelbar vor Augen haben, wohnen wir doch am Unterlaufe der Queich, südlich davon Ober= und Mittellauf die Schönheiten des Landes derart sind, daß sie unsern Dichter zu seinem schönen Werk begeistern mußte. Es ist ein Volksroman, geschrieben aus Liebe zu Land und Leuten. Ihr werdet eine Freude daran haben, denn von jedem Blatte weht Heimatluft. Damit Ihr Euch aber auch ein Bild von der prächtigen Gegen machen könnt, schicke ich Euch im zweiten Paket im ein Heimatalbum mit Bildern, sowie eine Pfälzerwaldmarkierungskarte. Die 79 Ansichten, sowie die Karte mögen Euch zeigen, welche Mühe sich der Pfälzerwaldverein gibt die schöne Heimat, die gerade in der Jetztzeit in ganz Deutschland, ja weit über die Grenzen hinaus, dort wo mir die deutsche Zunge redet, einen guten Klang hat, um diese Heimat der Touristik mehr und mehr zu eröffnen. Ich weiß nicht, lieber Onkel, ob Du die Gegend der Haardt kennst; aber wenn ja, so wirst Du staunen über die jetige Pflege der Ruinen, über die schönen Pfäde, über die angenehmen Ruheplätze, über die wegführende Markierungen. Letzere sind auf der Wanderkarte mit Farben eingetragen, so wie sie daraußen in den Waldungen angebracht sind. Ihr werdet z.B. finden, daß an Knittelsheim der gelbe Strich vorbeiführt, oder ein anderes Beispiel: daß auf Johanniskreuz sämtliche Kreuze zusammenlaufen. Außer diesen Hauptmarkierungen gibt es aber noch viele Lokalmarkierungen. Um nun die Wanderlust recht in Euch zu wecken und damit Ihr ganz bestimmt diesen Sommer kommt, habe ich von Knittelsheim [insertion:] aus [/insertion] zwei der schönsten Pfalzwanderungen ausgesucht und auf der Karte eingezeichnet. Die Wanderungen sind je zu 6 Tagen berechnet und so bemessen, daß man sie täglich bequem bewältigen kann. Natürlich gehörten zu solchen Wanderungen Zupfgeige und Lied und ein paar frischfrohe Menschen, die gleichen Herzens sind und dann findet sich alles von selbst. Die nachfolgende Wanderung ist von mir und einigen Kollegen schon
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seit Wochen geplant und wird in den diesjährigen Ferien (ab 5.8.) auf alle Fälle ausgeführt:
Mit frischfrohem Lied marschieren wir früh 5 Uhr in Knittelsheim weg nach Bahnhof Offenbach. Von hier Bahnfahrt über Landau, Rohrbach nach Klingenmünster. Im Ochsen daselbst 1. Frühstück. Dann Aufstieg zur Landeck und Weitermarsch über den Treitelsberg [1] zur Madenburg. Hier Mittagsrast mit Abkochen (Feldmarschmäßig) und dann prächtige Höhenwanderung nach Scharfenstein, Anebos [2], Trifels. Hier selbst lassen wir durch Geschichte, Sage und Dichtung den alten Barbarossa wach werden. Ende der Tageswanderung in Annweiler. Diese Wanderung ist nicht so sehr anstrengend, weil wir immer von den Grundsatz bei solchen Wanderungen ausgehen: Gemütlich anfangen und langsam steigern. Dafür kommts am II. Tag schon besser: Annweiler früh ab: 5 Uhr nach Völkersweiler, weiter nach Schloß Lindelbrunn, dann nach Erlenbach [3] (der Heimat Hedwigs) hinauf zum Berwartstein [4] und westlich zum Drachenfels [5], wo wir hoffentlich einige Zigeuner in ihren “Burgzimmern” finden werden und uns die Zukunft deuten lassen können. Von da gehts südwärts über St. Annakapelle [? ?] nach Schönau [6]. Der Name sagt schon genug. Man glaubt sich in Schönau in einem Paradise. Denn nicht weniger als etwa 1 dtzt Burgruinen u Kapellen kann man rundum wie in einem Kranze erblicken. Daher in Schönau ganzer Rasttag und gemütlicher Besuch der Ruinen - soweit sie in “Deutschland” liegen. Denn wir befinden uns hart an der neuen franz. Grenze. IV. Tag: Schönau - Fischbach - Dahn (Burgen Altdahn, Neudahn und der der Jungfernsprung) - Kaltenbach (Forellenessen !! vorausgesetzt nicht zu teuer! ) V. Tag: Kaltenbach - Ruine Gräfenstein - Eschkopf [7] - Johanniskreuz - Trippstadt. VI. Tag: Trippstadt - Karlsthal - Hohenecken [8] - Kaiserslautern - Otterberg. Das wärs! -- Ein II. schöne Wanderung ist die: Fahrt mit der Oberlandbahn (Elektrisch) von Landau nach Neustadt, Von da: Maxburg [9], Kalmit [10], St, Martin [11] Krobsburg [12] - Ludwigs=Höhe - Schänzel [13]- Forsthaus Holmbach - Isenach [14] - Elmstein - Burgen im Elmsteiner Tal - Lambrecht - Drachenfels - Isenach - Höningen [15] - Altleiningen - Peterskopf [16]- Hartenburg [17] - Limburg [18] - Bad Dürkheim. Von hier aus auf= und abwärts der Haardt ins Weinland. Das sind
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nur zwei der schönen Wanderungen. Man kann diese beliebig umgestalten, erweitern und einschränken. Die Ansichtskarten die ich von Süden nach Norden angeordnet habe, geben Euch einen Einblick in die Schönheiten der Heimat, an denen man früher geradezu achtlos vorüberging. Pfälzer Künstler zaubern sie aber mehr und mehr auf die Leinwand und so wandern diese Schönheiten auch hinaus in die Welt und hin zu Euch um Euch herbei zu locken in die Heimat, hinein in die Bergtäler, wo’s so still ist, so duftig kühl von Berg und Wiesen, wo ein erquickender Hauch von den grünen Bergeshalden wohl und durch alle Glieder bis in die Seele dringt - ins deutsche Herz. In Eurem letzten Briefe habt Ihr Euer Kommen immer noch in Frage gestellt. Es scheint, daß Ihr auf entgültigen Friedensabschluß zwischen Amerika und Deutschland warten wollt. Das ist nicht notwendig. Ihr erhaltet ohne Weiteres die Einreiseerlaubnis auch ohne Friedensschluß und zudem, wir Deutsche haben mit aller Welt Friede. Lieber Onkel tue nur dorten Schritte und befrage Dich und Du wirst die gleichte Auskunft erhalten. Es kommen doch eben so viele Amerikaner zu uns. Wir freuen uns doch so sehr! Was kümmerts Euch, wenn die Wildsau nicht will und immer noch hirnversponnene Schlenzen macht. Bei uns werden eben Wildschweine, die [insertion:] eben [/insertion] massenhaft in den Haardtwäldern angetroffen sind, abgemorkst. Wenn sie ordentlich fett sind, kann man mit sochen Jagdergebnissen ja recht zufrieden sein. Allerdings Euere Rasse ist zu mager und leidet an Drehkrankheit. Also nur mal versucht und Ihr werdet einen Weg über das Wasser finden. Hoffentlich erhalten wir bald ein erfreuende Zusage. Mit meine Gesundheit wird es wieder besser. Ich nehme als Kräftigungsmittel Siran, welches recht wirksam ist. Ich glaube, daß ich im letzten Brief schon davon schrieb und eine Prospekt beilegen wollte, was ich aber vergessen habe, daher füge ich ihn dem Paket bei. Bis Ihr kommt, bin ich wieder flott und “dienstfähig”.
Also auf baldiges Wiedersehen! Meine Ferien dauern vom 5. August - 1. Oktober.
Mit Waldheil!
die Eueren:
Eugen, [written in a different hand:] Lisbeth [/hand] u. Helenchen.