Cassel am 23t. August 1863.
Mein guter Hermann!
Dein Schreiben vom 6t. Juni d. J. hat uns Alle in die tiefste Trauer versetzt und kann ich keine Worte finden Dir unseren herben Schmerz über das so frühe Hinscheiden unseres herzlich geliebten Carl zu beschreiben. O mein lieber Hermann wie schrecklich hat uns diese Trauerbotschaft niedergeschmettert &. wie schwer wird es nur, uns in dieses herbe Schicksal zu finden. Unsere Leiden scheinen kein Ende zu nehmen, eine harte harte Prüfung ist uns auferlegt, möge uns Gott Kraft geben, das würdig zu ertragen, was er über uns verhängte. In meinem letzten Brief schrieb ich Dir über Linchens schwere Leiden, jetzt mein theurer Hermann habe ich Dir mit dem tiefsten Seelenschmerze das Hinscheiden dieses unglaublichen Wesens zu machen._ Sanft, ruhig u. Gott ergeben verschied sie Freitag den 16t. Januar d. J. Nachts gegen 1 Uhr. Ihr Bewußtsein hat sie bis auf den letzten Augenblick nicht verlassen, wenige Minuten vor ihrem Hinscheiden richtete sie mir noch ihre bereits kalte Hand mit liebevollen Worten._ Sie hat viel gelitten, aber ihr Leiden bis zum letzten Hauche mit einer Ruhe und Gottergebenheit getragen, die ihres gleichen sucht_. Montag den 19. Januar fand die Beerdigung der Verblichenen statt. Ihre Freundinnen, von denen sie wegen ihres edlen Characters und ihrer hingebenden Freundlichkeit so sehr geliebt worden, haben ihre irdischen Ueberreste mit den feinsten Treibhausblumen wahrhaft verhüllt, eine Menge schöner Kränze, die zur Verzierung des Sarges nicht mehr anzubringen waren, wurden demselben nachgetragen. Außerdem fand
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fand die Beerdigung einfach und ohne allen Prunk statt, so wie der Verstorbenen Leben stets gewesen. Sie ruht auf dem Friedhofe vor dem Holländischen Thore, ihr Grab ist in Rasen gelegt und mit Blumen bepflanzt und wird ihrem Gedächtniß daselbst manche Thräne geweint. Wie ganz anders ist es mit unserem dahingeschiedenen unvergeßlichen Sohn Carl - , er mußte in der Blüthe seiner Jahre &. voller Gesundheit im Kampf für sein neues Vaterland, sein uns Allen so theures Leben lassen, wurde zwar von seinen braven Kameraden auf dem Kampfplatz beerdigt, doch werden wir wohl nie sein Grab besuchen können; vielleicht ist selbst seine Ruhestätte nach kurzer Zeit nicht mehr kenntlich_. Wie weit ist solche von Westphalen entfernt? Es würde uns tröstlich gewesen sein, wenn Wilhelm seinen Plan, die Leiche Carls auf den Farm zu bringen, hätte ausführen können, doch habe ich mir wohl gedacht, daß dies schwerlich auszuführen sein würde-, nun man ruht ja am Ende überall in Gottes Erde.- Wie ich aus Euren Briefen ersehe, sind von der aus 8 Mann bestehenden Vorhut 4 Mann auf dem Kampfplatz beerdigt; hiernach zu schließen hat die verruchte Bande wahrscheinlich nach Beräumung der Gefallenen den Kampfplatz verlassen. Sind die anderen 4 Mann von der Vorhut in die Hände der Rebellen gefallen_ oder was ist aus ihnen geworden? Die rebellischen Schurken müssen aus naher Entfernung ja einen wahren Kugelregen über die Vorhut geschickt haben, da unser guter Carl 4 Kugeln in den Kopf &. eine in die Seite bekommen. Sein Todt ist sicher sehr schnell erfolgt und würde es noch schrecklicher gewesen sein,
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wenn er vielleicht schon verwundet in die Hände dieser Rebellen gefallen wäre_. Ruhe seiner Asche!_ O mein guter Hermann wie schrecklich mag es für Dich gewesen sein, als Dein Bruder Wilhelm bei seinem neulichen Urlaub ohne Carl bei Dir einkehrte, ich denke mich lebhaft in Deine Lage. Was hat mein einziges sehnsuchtsvolles Hoffen durch diesen Todt für einen Stoß erhalten-, wie oft hat mich der Gedanke aus tiefster Schwermuth erhoben, Du hast brave gute Söhne, Du wirst sie als Männer zusammen wieder sehen-, doch Gott hat es nicht so gewollt &. wer weiß ob mir das Glück beschieden ist auch nur einen von Euch Lieben in diesem Leben wieder zu sehen Wir müssen und wollen uns bestreben, uns vertrauensvoll in den höchsten Willen zu fügen_. Es ist dieses aber wahrlich ein schwerer Kampf-, doch was ist das ganze Leben für viele _ nichts als ein Kampf._ Es wäre ein großer Trost für uns gewesen, wenn Wilhelm die Armee verlassen, bei Dir hätte bleiben und Dich in Deiner Wirthschaft hätte unterstützen können. War denn diese nicht thunlich? Armer Bursche, wie mag es Dir bei Deiner Ernte ohne alle kräftige Hülfe sauer geworden sein, doch weiß ich aus Erfahrung, daß man gern für die Seinen sorgt &. schafft, so weit nur die Kräfte reichen wollen._ Hoffentlich wirst Du nun vom Kriegsdienst verschont bleiben und Du wirst ihn meiden, so fern Dich die Noth nicht dazu zwingt, da Du auch heilige Pflichten gegen die Deinen hast_. Wäre doch dieser unselige Krieg erst zu Ende; dem Anschein nach ist dies sobald noch nicht zu hoffen, da von beiden Seiten aufs Neue rekrutirt wird_. Bei den beabsichtigten Aushebungen in New York soll es ja, den Zeitungen nach, schaudervoll hergegangen sein. Mein
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Mein lieber Hermann wir freuen uns mit Dir, daß Deine beiden Knaben gesund und munter heranwachsen. Zu dem kleinen John William sind wohl Großvater &. Wilhelm Pathen_? Du schreibst nichts darüber, auch erwähnst Du Deiner Marie nicht, ich darf doch wohl hoffen, daß Ihr glücklich zusammen lebt? , es wird der armen Frau gewiß auch recht sauer werden. Wie geht es mit Großvaters Gesundheit? Wie ich aus Deinem Schreiben ersehe, ist jetzt Deine saure Arbeit wenig lohnend, denn was sind das für beispiellos billige Preise, die Naturalien werden ja wahrhaft verschleudert. Hier ist und bleibt Alles sehr theuer. Z.B. ein Schwein von 250 ℔, was du zu 4 Doll. 75 Ct. verkauft, würde hier 40 rt. kosten._ Obschon wir eine gute Ernte hier gehabt &. theilweise noch zu erwarten haben, so behaupte doch die Früchte &. sonstigen Naturalien ihre hohen Preise. Der Kaffee, ist ja bei Euch sehr theuer, theurer wie hier, hier bekommt man beste Sorte doch noch 2 1/2 ℔. pr. rt. _ Aller Theurung ungeachtet dürften wir nicht klagen, da wir bei unseren bescheidenen Ansprüchen unser gutes Auskommen haben &. auch noch etwas erübrigen; wenn wir nur zusammen gesund und von weiteren harten Schicksalsschlägen verschont bleiben._ Große Sorge haben wir jetzt wieder wegen unserer guten Minna die seit dem Tode unserer braven Angeline leidend ist; sie hat im März d. J. eine harte Brustkrankheit überstanden und ist seit etwa 4 Wochen erst so kräftig wieder, daß sie der Einladung unserer edlen
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Freunde Spieß in Kaufungen, den Sommer bei ihren zuzubringen folgen konnte. Ich habe Minna vor Kurzem dort besucht u., gesten ist die Mutter zu ihr gegangen u. wird morgen zurückkehren; es geht ihr jetzt besser, möge Gott geben, daß sie bald wieder genesen möge.- Die edle Frau Spieß u. ihre guten Hausgenossen überbieten sich gegenseitig in Minnas Pflege, auch ist sie sehr gern bei diesen braven Leuten bei denen auch unser seelige Linchen zur Stärkung ihrer Gesundheit einige Sommer zugebracht &. stets der liebevollsten Behandlung sich zu erfreuen gehabt hat_. Wir können es diesen guten Menschen, die uns in unserem Leiden so treu u. edel beigestanden haben, und noch beistehen, nie vergelten -, möge sie Gott dafür segnen. Carl Spies ist Bergmann, gegenwärtig aber, da er keine Stelle bekommen konnte, mit Vermessung bei Danzig in Preußen, beschäftigt. Adolph Spies ist Chemiker geworden, hat die Universität verlasen u. sucht jetzt eine Stelle._ Deine Schwester Therese hat Ostern d. J. die Schule verlassen, seither hat sie Unterricht in Weißnähen, sie ist größer als ihre Mutter, sie ist ein aufgewecktes Mädchen. Ihre Aehlichkeit mit dem Bilde unseres seligen Carl - was ich zur Zeit in Bremen abnehmen ließ, ist ganz außerordentlich groß._ Adelheid, die Ihr so klein verließet, ist im April 12 Jahre alt gewesen, sie ist ein recht kräftiges gesundes und auch ein gutes Kind._ Beide Mädchen wünschen sich gar oft bei Euch sein u. Euch helfen zu können. Deine gute Mutter u. ich sind bisher - so kleine Uebergänge angerechnet - gesund gewesen._ Wir sind Dir u. Wilhelm sehr dankbar mein guter Hermann, daß Ihr Eure Bilder habt
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habt abnehmen lassen &. gewährt es uns einen großen Trost, daß wir auch Carls Bild erhalten, obgleich der jedesmalige Anblick die schmerzlichsten Gefühle in uns erregen wird. _ So lange schon haben wir uns Eure Bilder so sehr gewünscht &. sehen um der Zusendung mit Sehnsucht entgegen. Du wirst solche schon abgesandt haben u. wünschen wir uns, daß sie wohlerhalten bald in unsere Hände gelangen. Wie würden wir uns freuen lieber Hermann, wenn Du es ermöglichen könntest uns auch die Bilder von unserer Schwiegertochter &. unseren Enkeln zukommen lassen könntest._ Für die Zusendung des Blattes, worauf unser braver Carl so edle Gedanken niedergeschrieben, danke ich Dir von Herzen, ich habe es einrahmen lassen und wird es mir so lange ich lebe, ein theures Andenken an meinen so früh dahingeschiedenen lieben Sohn bleiben._ Eine Abschrift seines letzten Briefes an Dich, wird mir recht willkommen sein. _ Er schrieb uns zuletzt unterm 24 Januar v. J. von Osage aus._ Unser gutes Linchen hat sich ihr Bild vor ihrer letzten Krankheit abnehmen lassen &. macht mir an meinem vorjährigen Geburtstage damit eine Freude_. Das Bild ist sehr sehr ähnlich, ich habe es nun kürzlich in Dresden bei Wilhelm Lampmann vervielfältigen lassen, um dem Wunsche der Verbliebenen ihre Freundinnen damit zu beschenken zu entsprechen._ Ich übersende hierbei 2 Exemplare für Dich u. Wilhelm, es wird Euch dies ein theures Andenken an Eure wahrhaft edle Schwester sein, deren ganzes Streben nur war ihren Eltern Freude zu machen-, warum mußten wir sie so früh verlieren-, wohl war sie zu gut für diese Welt!
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Dein Schreiben mit der unglücklichsten Trauerbotschaft, die mir je zu Händen gekommen, erhielten wir am 1t. Juni, ich unterließ dessen Beantwortung bisher weil wir baldiger weiterer Nachrichten von Dir entgegensehen dürften, Die nun am 19t. d. M. bei uns eingegangen ist. An Wilhelm füge ich einige Zeilen hierbei, die Du couvertiren &. ihn zukommen lassen willst, sofern Du annehmen kannst, daß sie ihn sicher erreichen, was jetzt wohl schwer halten wird, wem Wilh. Regiment nicht ein festes Standquartier hat._ Deine Tante Louise in Kauffungen geht es ja gut, sie nimmt den innigsten Antheil an Allem was Euch betrifft und sendet Euch die herzlichsten Grüße. Zum Ankauf des Wechsels, welchen ich Euch, meinen lieben Söhnen mit Schreiben vom 25t. Febr. v. J. sandte, erborgte ich - da ich augenblicklich nicht so viel Mittel flüssig hatte-, von meiner Schwester 200 rt., die ich ihr vor einiger Zeit zurückerstatten wollte, sie weigerte sich indeß ganz entschieden dieses Geld zurück zu nehmen, mit dem Bemerken, daß sie solches als Geschenk an Euch betrachtet wissen wollte; ich mußte mich also vorerst dabei beruhigen, werde aber selbstverständlich meiner Schwester dafür dankbar sein._ Du würdest sie unendlich erfreuen, wenn Du ihr mal einige Zeilen schriebest, bitte thue dieses mit Deinem nächsten Briefe; Du kannst Dir nicht denken, was sie für ein großes Stück auf Dich hält._ Von dem großartigen Ereigniß den deutsche FürstenCongresses zu Frankfurta/M, welchen gegenwärtig auf Veranlassung des Kaisers von Oesterreich statt findet, u. dem alle deutschen Fürsten, mit alleiniger Ausnahme des Königs von Preußen, der die Einladung aus Gesund heits
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heitsrücksichten abgeleht hat_, beiwohnen, wirst Du wohl in de Zeitungen gelesen haben._ Möge ihr Wirken _ was sehr Noth thut-, die deutsche Einigkeit befestigen und zum Segen der Nation gereichen. Ich schließe mit den innigsten Wünsche, daß Ihr Alle Euch ferner eine guter Gesundheit erfreuen möget und daß recht bald wieder Ruhe und Friede und geordnete Verhältnisse ein Euch einkehren mögen. Grüße echt herzlich Deine liebe Frau u. den Großvater, küsse Deine kleinen Buben für mich, schreibe recht bald wieder &. lebet Alle so wohl wie es von Herzen wünscht Dein tiefgebeugter Vater.
Fortgesetzt am 25. August 1863.
Heute Mittag mein lieber Hermann erhielten wir die Bilder in unversehrtem Zustande; was für einen freudigen Eindruck würde dieser Empfang unter anderen Verhältnisse gemacht haben._ Du erscheinst sehr angegriffen auf dem Bilde, Du mußt wohl zu hart arbeiten und hast wohl nebenbei auch wohl noch viel Sorge. Wilhelm erscheint recht rüstig &. hat das Ansehen eines richtigen Cavallerie Wachtmeister_. Carls Ansehen ist lieblich, frei und offen-, O mein Gott! warum mußte er nur so früh genommen werden._ Noch ein weitere Trauerbotschaft habe ich Dir mitzutheilen, im April d. J. starb unser Vetter Schneider in der [?] Krone [/?] zu Helsa, nach kurzem Krankenlager in seinem 42t. Jahre, er war schon länger leidend gewesen. Er hat seine Familie, aus Frau u. 2 Kindern bestehend, in guten finanziellen Verhältnissen verlassen_. Deine Adresse an mich ist nicht ganz genau, ich heiße Heinrich Carl Friedrich -, Du schreibst C. F. _ Schreibe bald wieder!
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Gestern ist Deine Mutter zu Kaufungen zurückgekehrt-, mit Minna gehts Gottlob besser.
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